Retrospiele: The lost Files of Sherlock Holmes - The Case with the serrated scalpel
Heute bespreche ich mal mein Lieblings-Adventure und zudem ein Spiee, das einen der längsten Titel der Geschichte hat: "The lost Files of Sherlock Holmes - The Case with the serrated scalpel". Dieses Spiel ist mein absolutes Lieblings-Adventure überhaupt, noch vor allen Lucasarts-Titeln!
Das Spiel, 1992 von Mythos Software programmiert und über Electronic Arts veröffentlicht, ist mir aus vielen Gründen sehr in Erinnerung geblieben. Erstmal war es für damalige Verhältnisse sehr groß! Ich erinnere mich noch genau.... der Highscreen-PC meines Bruders, ein 386SX 25MHz mit 52MB Festplatte, bei der der Händler tatsächlich sagte, das man die so schnell nicht vollbekäme 😁. Dann kam Sherlock Holmes: 9 HD-Disketten.... mit der Wahl, das Spiel mit Portraits (bei Unterhaltungen) oder ohne zu installieren. Je nach dem was man auswählte, brauchte es gigantische 15 oder sogar 29MB Festplatte....also die Hälfte der Festplattenkapazität!
Die nächste Erinnerung kam gleich nach dem Start, sofern man eine Soundblaster-Karte hatte: Sprachausgabe! Zwar nur im Intro, den Zwischensequenzen und dem Outro, aber doch mehrere Minuten lang und glasklar aufgenommen. Es war das erste Mal, das ich mehrere Sätze Sprachausgabe hörte. Hinzu kamen hervorragende Musik und Soundeffekte, also z.B. wenn etwas im Spiel umfiel oder so. Ich erinnere mich an die erste Szene des Spiels, in der man den Mord beobachtet und sich der Mörder hörbar eine Zigarette anzündet und eine Flasche zersplitternd zu Boden geht. Auch das war noch relativ neu in PC-Adventures damals.
Das Spiel selbst ist ein klassisches Krimi-Adventure im viktorianischen London um 1888. Man spielt Sherlock Holmes und wird vom Scotland Yard zu einem Fall hinzugezogen, eben dem mit dem gezackten Skalpell. Am Hinterausgang des Regency Theaters wurde die Schauspielerin Sarah Carroway ermordet aufgefunden. Scotland Yard geht davon aus, das Jack the Ripper wieder zugeschlagen hat, Sherlock Holmes ist sofort anderer Meinung und nimmt sich dem Fall an. Immer mit dabei ist natürlich Dr. Watson, der Tagebuch über die Gespräche führt und immer mit dem einen oder anderen Rat oder auch nur mit einem Kommentar zur Seite steht. Gesteuert wird per Maus und einem Verben-Interface, einem grafischen Inventar sowie einer interaktiven Karte Londons, auf der immer mehr Orte "freigespielt" werden. Insgesamt gilt es ca. 50 Orte zu besuchen.
Die ganze Stadt, also das viktorianische London, ist wunderbar in Szene gesetzt, ich muss allerdings auch zugeben, das ich großer London-Fan bin und viele Orte aus eigener Anschauung kenne. Da man quer durch alle Gesellschaftsschichten ermittelt, sieht man auch die Höhen und Abgründe Londons. Man trifft auf Upperclass-Locations wie eine Pafümerie, ein Herrenhaus, eine Privatschule, ein Anwaltsbüro, muss aber auch in den Zoo, ins Krankenhaus, in die Quartiere von einfachen Leuten wie Schauspielern, Schiffern und die Pubs der Arbeiterklasse. In Letzterem kann man in einem, sehr gut umgesetzten, Mini-Spiel gegen die Leute im Pub Dart spielen. Man muss es sogar, denn man muss gewinnen um an Informationen ranzukommen. Ich komme, auch wenn ich längst gewonnen habe, gern auf eine Parte in den "Moongate"-Pub (der Name weckt bei Gamern Assoziationen oder?) zurück, einfach weil das Mini-Spiel schön umgesetzt wurde. Mir ist da, nach einiger Übung, auch schon der eine oder andere 9-Darter gelungen 😀.
Mit der Zeit sterben mehr Leute, die Story wird komplexer und verzweigt sich zunehmend. Die Aufgaben des Spiels sind immer fair und machbar, es gibt eigentlich keine unlogischen Rätsel. Hin- und wieder muss man auch mal zurück in die Baker Street um Fundstücke chemisch zu untersuchen oder sich auch mal zu verkleiden. Die Dialoge sind ernsthaft, aber teilweise sehr pointiert, wenn man sich, wie ich, etwas mit der englischen Geschichte und der Londons auskennt.
Sehr schön sind zum Beispiel die kleinen Spitzen, die es in Diskussionen zwischen Holmes und Watson häufiger gibt. Der etwas weltfremde, exzentrisch-arrogante Holmes und der weltoffene Watson liefern sich großartige Rededuelle über städtische Architektur, Musik, Inneneinrichtung, die Gesellschaft und ihre Probleme sowie viele andere Themen. Nicht brüllend komisch wie bei Comedy-Adventures, aber eine sehr erfrischende Art von Humor. Natürlich findet man auch immer wieder Verweise und Zitate auf die Original-Werke von Arthur Conan Doyle.
Herrlich dargestellt ist auch der exzentrische Holmes der gern seine Sichtweise der Dinge für "allgemeingültig" erklärt, so zum Beispiel in einer Szene bei der Einordnung eines Gemäldes. Dort hält Holmes die Farbauswahl und leichte Unschärfe des Bildes für ein Ergebnis einer wahrscheinlichen Augenkrankheit des Künstlers, während Watson den besonderen Stil des Malers erkennt. Der Maler des Bildes ist C.Monet. 😁. Das hat mich an die schöne Szene mit den Bildern aus dem Film "Titanic" erinnert, als Caledon den Kunstgeschmack seiner Rose nicht teilt und meint aus dem Maler, einem gewissen "Picasso", würde nichts werden. Ähnliche Meinungsverschiedenheiten der beiden Protagonisten sind es, die das Spiel, und besonders die Dialoge, sehr unterhaltend machen.
Wenn man der Lösung immer näher kommt, ist man doch überrascht, wer letztendlich der Täter ist und aus welchem Motiv das Opfer umgebracht wurde. Überrascht sollte man zwar bei einer guten Krimi-Geschichte auch sein, aber hier zieht der "einfache" Mord doch sehr interessante Kreise. Bis dahin müssen aber viele schön gezeichnete Orte besucht und Personen befragt werden.
Erfreulicherweise gibt es nur wenig "Cutscenes", die Geschichte wird weitestgehend im Adventure selbst erzählt. Es gibt zwar automatisch ablaufende "Action-Szenen", aber eben nicht sehr viele. Das Spiel kam übrigens 1994 auch noch für die gefloppte 3DO Konsole raus, da mit größeren, animierten, Portraits und kompletter Sprachausgabe. Diese Version ist heute ein begehrtes Sammlerstück und nicht ganz billig...
Fazit:
Das erste "Lost Files" Spiel ist für mich DAS Adventure der VGA-Ära schlechthin. Das liegt an der Story, an der Atmosphäre, den Locations, der Grafik und daran das ich, bevor meine Kumpels das hier in den Kommentaren posten, einen "England Tick" habe. Zudem mag ich Adventures die in einem realen, gern historischen, Setting spielen, mit Sci-Fi, Fantasy oder Steampunk kann ich nicht so viel anfangen. Aber auch objektiv ist es ein großartiges Spiel, das sich auch auf technischer Seite keinerlei Schwächen leistet. Leider ist das Spiel damals zwischen den ganzen großartigen Lucasfilm- und Sierra Spielen etwas untergegangen. Ich finde zu Unrecht, aber man hat es auch schwer, ein Spiel zu Zeiten von Monkey Island und Day of the Tentacle zu veröffentlichen, zumal dieses Spiel deutlich "erwachsener" daherkommt. Trotzdem, oder grade deswegen, ist es eine echte Empfehlung für Adventure-Fans....
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Einbindung des Stay-Forever Podcasts mit freundlicher Genehmigung von Gunnar Lott/Stay Forever.